Trotz anhaltender Debatten über den privaten, öffentlichen und politischen Umgang mit Pornografie blieb die wissenschaftliche Auseinandersetzung in Deutschland lange begrenzt. Während sich im angelsächsischen Raum die Porn Studies als eigenständiges Forschungsfeld fest etabliert haben, führen sie an deutschen Universitäten und Filmarchiven weiterhin ein randständiges Dasein.
Vor diesem Hintergrund versteht sich die Sammlung zum pornografischen Schmalfilm als Teil einer umfassenden Archivtätigkeit, die sich sämtlichen auf Schmalfilm produzierten oder veröffentlichten Filmformen zuwendet – unabhängig davon, ob sie im privaten, halböffentlichen oder institutionellen Kontext zirkulierten. Im Zuge von Nachlässen, Schenkungen und gezielten Übernahmen entstand am Lehrstuhl für Filmwissenschaften ab den 2010er Jahren ein Bestand an soft- und hardpornografischem Material, der seit 2021 systematisch betreut, ergänzt und erschlossen wird.
Derzeit umfasst die Sammlung rund 400 Titel in den Formaten Normal 8, Super 8, 9,5mm und 16mm – darunter Produktionen aus Deutschland, Dänemark, Großbritannien, Frankreich und den USA. Einen besonderen Schwerpunkt bilden sogenannte Loops für Heimprojektoren und Automaten aus den Jahren 1965 bis 1985, Akt-, Burlesque- und Nudistenfilme der 1940er bis 1960er Jahre sowie rare, häufig handkopierte Stag Films, die im frühen 20. Jahrhundert in Bordellen, Privatclubs oder geschlossenen Kinovorführungen gezeigt wurden.
Aufgrund ihrer marginalisierten Stellung im medialen Gedächtnis bieten diese Filme aufschlussreiche Einblicke in ästhetische Konventionen, gesellschaftliche Normierungen und sexuelle Bildpolitiken vergangener Jahrzehnte. Sie dokumentieren nicht nur Formen von Begehren und Körperrepräsentation, sondern auch medientechnische, ökonomische und soziale Bedingungen, unter denen sexuelle Inhalte produziert, verbreitet und rezipiert wurden. Ihre Analyse eröffnet damit einen Zugang zu Themen wie Intimität, Voyeurismus, Zensur, Kontrolle und Lust – jenseits etablierter filmgeschichtlicher Narrative.
Die Sammlung ist nicht allein als materielles Archiv angelegt, sondern auch als Denk- und Diskursraum. Sie lädt zur interdisziplinären Forschung ebenso ein wie zur medienarchäologischen Spurensuche. Seit 2022 werden ausgewählte Titel jährlich im Rahmen eines kuratierten Programms auf dem PaderPorn-Filmfestival öffentlich präsentiert. Die Filme werden thematisch oder historisch kontextualisiert und durch Vorträge, Gespräche und Begleitformate ergänzt. Auf diese Weise überführt das Festival die archivalische Arbeit in einen lebendigen Austausch mit Forschung und Öffentlichkeit. Es fungiert als Ort der Auseinandersetzung mit filmischer Sexualkultur, mit Geschichte und mit den Bedingungen ihrer Überlieferung.
(Text: Alexander Schultz)
Glossar
Da die filmhistorische Beschäftigung mit Pornografie bislang überwiegend in englischsprachigen Publikationen stattgefunden hat, und zudem viele der darin verwendeten Begriffe entweder historisch geworden oder im deutschsprachigen Raum kaum verbreitet sind, entsteht hier eine kleine, fortlaufend erweiterte Begriffsammlung. Sie soll nicht nur zur Orientierung beitragen, sondern zugleich Einblicke in die Sammlung ermöglichen und ihre Kontexte verständlich machen.
Burlesque
Italienisch burla für „Schabernack“, abgeleitet vom lateinischen burra für „Lappalie“.
Theatralische Form der Übertreibung, Ironie und Parodie, die sich im späten 19. Jahrhundert zu einer populären Unterhaltungsform entwickelte, in der erotische Inszenierung, Striptease, Tanz und humorvolle Elemente miteinander verschmolzen. In Europa und den USA (als Spielform des Vaudeville) war Burlesque ein zentrales Format der Varieté- und Revuekultur.
Im frühen Kino wurden die Performances filmisch dokumentiert oder eigens für die Kamera re-inszeniert. Als Genre blieben sie in späteren Glamour-, Loop- und Kinoformaten auf Schmalfilm und 35mm erhalten.
Burlesque blieb stets wandelbar und wurde immer wieder neu verhandelt – etwa in den feministisch motivierten Live-Sexshows der kanadischen Tänzerin Lindalee Tracey in den 1970er- und 1980er-Jahren.
Lavender
Englisch für „Lavendel“ – eine Farbe, die seit dem frühen 20. Jahrhundert symbolisch mit Homosexualität und queerer Kultur verbunden ist.
Im Bereich der Pornografie bezeichnet Lavender eine Kategorie schwuler Pornos, insbesondere in Archiven und Kuratoren-Kontexten, um queere Inhalte sichtbar zu machen, ohne auf problematische oder abwertende historische Begriffe zurückzugreifen. Der Begriff betont dabei nicht nur sexuelle Orientierung, sondern auch ästhetische und kulturelle Eigenheiten queerer Bildproduktion.
Lavender-Filme reichen von kommerziellen 8mm-Loops über Spielfilme auf 16mm bis hin zu variationsreichen Videoformaten. Sie dokumentieren nicht nur sexuelle Praktiken, sondern auch queere Lebensrealitäten, politische Kämpfe und ästhetische Selbstentwürfe.
Porno Chic
Medienbegriff für eine kurze kulturelle Phase Anfang der 1970er-Jahre, in der pornografische Filme erstmals öffentliches Interesse, gesellschaftliche Akzeptanz und ästhetische Anerkennung erfuhren – insbesondere in den USA.
Der Begriff wurde 1973 durch einen Artikel im New York Times Magazine von Ralph Blumenthal geprägt, der den Kinoboom um Filme wie Deep Throat (1972), Behind the Green Door (1972) und The Devil in Miss Jones (1973) beschrieb. Diese Filme wurden nicht mehr nur im Verborgenen gezeigt, sondern liefen in regulären Kinos, wurden in Mainstreammedien besprochen und von gesellschaftlich gehobenen Schichten sowie Personen des öffentlichen Lebens besucht. Pornografie galt für einen Moment als modisch, diskussionswürdig – chic.
Diese Ära der Rezeption endete zwar als Bewegung bereits Mitte der Dekade, doch auch in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren entstanden weiterhin Pornofilme auf 35mm, die erfolgreich eine breitere Akzeptanz für ein Mainstram-Publikum und entsprechende Kinos herstellen konnten.
Glamour
In Großbritannien bezeichnet Glamour eine Spielart erotischer Darstellung, die sich ab den 1950er-Jahren zwischen Pin-up-Kultur, Softcore-Pornografie und Voyeurismus positionierte. Charakteristisch für sogenannte Glamour-Loops oder Glamour Reels waren kurze, stumme 8mm- oder 16mm-Filme mit Striptease-Szenen oder posierenden Frauen – inszeniert in häuslicher Umgebung, im Atelier oder im Freien.
Im Gegensatz zu Porno-Loops konzentrieren sich Glamour-Filme auf die Zurschaustellung des Körpers ohne explizite Sexualität. Nacktheit wurde als ästhetisch aufgeladetes Spiel mit Blick und Pose inszeniert – häufig mit Blickkontakt zur Kamera, fließenden Bewegungen und ikonischen Gesten.
Die Produktionen entstanden in semi-professionellen Studios, insbesondere im Umfeld britischer Erotikverlage wie Russell Gay oder Harrison Marks, die ihre Filme über den Postversand oder in spezialisierten Geschäften vertrieben.
Loops
Englisch loop („Schleife“), in Anspielung auf die mechanische Wiedergabeform, in der die Filme ohne Unterbrechung als Endlosprojektion wiederholt werden konnten.
Kurze (3 bis 10 Minuten), auf Schmalfilm vertiebene pornografische Filme, die ab den 1950er-Jahren bis in die frühen 1980er-Jahre weit verbreitet waren. Sie zeigen Striptease sowie angedeutete oder explizite sexuelle Handlungen in konzentrierter Form, oft ohne klare Handlung und zumeist ohne Tonspur.
Die Filme wurden illegal oder halblegal vertrieben und in semi-professionellen Studios in den USA, Deutschland, den Niederlanden oder Skandinavien produziert. Die Distribution erfolgte über Buchläden, Sexshops, per Postversand oder auf sogenannten „Peepshow“-Geräten in Kinos und Automatenkabinen.
Sexploitation
Wortkombination aus sex und exploitation (engl. für „Ausbeutung“ bzw. „Verwertung“) – Bezeichnung für ein Subgenre des Exploitation-Films, das sich hauptsächlich in den 1960er-Jahren auf die Vermarktung sexueller Inhalte spezialisierte.
Sexploitation-Filme entstanden vor allem in den USA und Europa in einem medienrechtlichen Zwischenraum: Sie zeigen Nacktheit, sexuelle Reize und oft grenzüberschreitende Themen, ohne jedoch in den Bereich expliziter Pornografie vorzudringen.
Im Unterschied zu späteren Softcore-Formaten war Sexploitation oft ruppiger, greller und reißerischer – mit bewusst kalkulierten Tabubrüchen, die zugleich sexuelle, gesellschaftliche oder moralische Normen infrage stellten.
Berühmte US-amerikanische Pionier:innen waren u.a. Doris Wishman, Russ Meyer, Joe Sarno, Radley Metzger, Michael und Roberta Findlay, Lee Frost oder Ron Sullivan.
Sexploitation war bis in die frühen 1970er-Jahre ein wesentlicher Bestandteil der Grindhouse-Kultur und prägte maßgeblich die visuelle Sprache und Marktstrategien der frühen Pornoindustrie. Viele Vertreter:innen wechselten danach in den Hardcore-Bereich.
Hardcore
Englisch für „kompromisslos“ oder „gnadenlos“ – Bezeichnung explizit pornografischer Darstellungen im Film.
Hardcore beschreibt Filme, in denen sexuelle Handlungen sichtbar, offen und detailliert gezeigt werden – darunter Penetration, Ejakulation und andere nicht-simulierte Praktiken. Im Gegensatz dazu steht Softcore, eine mildere Form erotischer Darstellung, die sich auf angedeutete oder stilisierte Sexualität konzentriert.
Die begriffliche Unterscheidung geht auf die US-amerikanische Obszönitätsdebatte der 1950er- und 1960er-Jahre zurück. Jurist:innen unterschieden dort zwischen hardcore pornography – die keinerlei literarische, künstlerische oder gesellschaftliche Relevanz besaß und somit klar unter das Verbot obszöner Inhalte fiel – und borderline pornography, also grenzwertiger Pornografie, die durch ästhetische, narrative oder dokumentarische Aspekte als nicht eindeutig obszön gelten konnte.
Die Trennlinie zwischen Hardcore und Softcore ist historisch wie kulturell wandelbar und wird auch von Zensur, Gesetzgebung und Marktbedingungen geprägt.
Nudie Cutie
Spielfilm-Genre, das sich Ende der 1950er- und in den 1960er-Jahren insbesondere in den USA etablierte.
Nudie Cuties wurden zumeist auf 35mm gedreht und kombinieren Nacktheit mit komödiantischen oder pseudo-dokumentarischen Elementen – etwa in Szenarien wie Nudistencamps, paradiesischen Inseln oder absurden Alltagssettings. Im Fokus stehen nackte Körper, meist weiblich, jedoch ohne explizite Sexualität. Der populäre Startpunkt dieser Entwicklung war The Immoral Mr. Teas (Russ Meyer, USA 1959).
Die Filme entstanden im Spannungsfeld restriktiver Zensur und wachsender Publikumsneugier. Ihre Ästhetik – voyeuristische, pseudo-dokumentarische Kamera, ironischer Off-Kommentar, FKK-Settings – umging oft erfolgreich Staatsauflagen und verschob deren Grenzen.
Der Begriff Nudie wurde auch im britischen Raum verwendet, wo er allgemein zur Bezeichnung leichter, nicht-expiziter Nacktdarstellungen in Film und Fotografie diente – etwa in Glamour-Loops, Posing-Filmen oder Striptease-Formaten.
Stag
US-amerikanischer Begriff für frühe, meist stumme Pornofilme, die in den USA etwa von den 1910er- bis in die 1950er-Jahre kursierten. Der Begriff stag verweist auf den Herrenabend – eine männerexklusive Veranstaltung, für die diese Filme konzipiert waren. Gezeigt wurden sie bei Junggesellenabschieden, in Bordellen oder Hinterzimmern.
Stag-Filme sind kurze Einakter von rund zehn Minuten Länge, produziert meistens auf 35mm oder später auch 16mm-Material. Sie zeigen explizite sexuelle Handlungen in Nahaufnahme und gelten als früheste Form des Hardcorefilms. Ihre Kürze, oftmals einfache Machart und illegale Verbreitung verliehen ihnen eine besondere Faszination, die ihnen parallel zur Legalisierung von Pornografie in den 1970ern zu einem nostalgischen Revival verhalfen.
In ihrer anonymen, oft amateurhaften Ästhetik dokumentieren Stag-Filme nicht nur frühe pornografische Bildsprachen, sondern auch soziale Fantasien, Machtverhältnisse und visuelle Codes, die sich bis in die Gegenwart erhalten haben. Heute gelten sie als wichtiger Bestandteil filmischer Pornoarchäologie – selten, fragmentarisch, aber kulturell aufschlussreich.
