von Tilman Moritz
Ob Jubiläum oder Gedenkjahr – das Erinnern in runden Zahlen bietet vorderhand keinen geschichtswissenschaftlichen Erkenntniswert. Schon deshalb sollte das Seminar zum »Bauernkrieg 1525« nicht bloß dem Zufall der 500 Jahre »seitdem« überlassen sein. Stattdessen sollte es Voraussetzungen und Rahmungen des historischen Geschehens ausloten. Eines Geschehens, das an sich fast nur von der Peripherie greifbar wird: über partikulare Interessen einzelner Teilnehmer, über die Trends frühneuzeitlicher Reformkonflikte um Religion und Herrschaft oder die wechselseitige, medial ausgestaltete Instrumentalisierung der Aufstandsbewegung durch ihre Anführer und Gegner.
Zu klären, »wie es eigentlich gewesen«, konnte dann aber auch nicht bei dieser Dekonstruktion stehen bleiben. Denn so bemüht der ›Boom‹ an Tagungen, Sachbüchern und Ausstellungen zum Bauernkrieg im Jahr 2025 auch wirkt – das Thema ist öffentlich präsent. Dieses Interesse, so die Vermutung, verdankt sich einer nachhaltigen Arbeit daran, jene disparaten Entwicklungen nicht bloß zu einem Gesamtereignis zu verdichten, sondern immer wieder neu daran anzuschließen.
Die aktuelle Tendenz scheint zu sein, den Aufstand weiter in seiner Vorbildhaftigkeit zu betonen. Warum »weiter«? Weil man auffälligerweise an die Perspektivierungen der »frühbürgerlichen Revolution« in der DDR und deren bundesdeutschen Derivats als »Revolution des Gemeinen Mannes«1 anknüpft. Tatsächlich steckt darin ein obrigkeits- oder staatskritischer Reflex, der die ältere, fürstliche Deutung schlicht in ihr Gegenteil verkehrt: Das ›Scheitern‹ der Aufstandsbewegung bleibt begründet, allerdings nicht mehr im Verstoß religiös radikalisierter Untertanen gegen die göttliche Ordnung, sondern im Verstoß gegen die Logik der Chronologie; weil sie unzeitgemäß gewesen sei, indem sie die »Volksherrschaft« vorwegzunehmen schien. – Nebenbei allerdings eine Traditionslinie, die auch dem Nationalsozialismus anschlussfähig war.2
Im Zugriff der aktuellen Erinnerungskultur sind diese Vereinnahmungen fast völlig ausgeblendet: Konservative Elemente, vor allem im Religiösen, scheinen der Gegenwart entfremdet. Betont sind dagegen die Analogien zu linken Protestformen – auf Kosten der ebenso gültigen Folie rechter Bewegungen wie »Pegida« oder »Querdenken«.3
Für die hinter solchen Erzählungen stehenden Geschichtspolitiken zu sensibilisieren, war daher ein wesentliches Ziel des Seminars. Die verschiedenen Zugänge auch nur annähernd vollständig aufzuarbeiten, stand freilich gar nicht erst auf der Agenda. Vielmehr sollte den Teilnehmenden offen stehen, für sie besonders relevante Beiträge zur Erinnerungskultur bzw. Public History in den Blick zu nehmen. Dass ich diesen Blick durch meine Vorauswahl lenken würde, war unvermeidlich. Umso wichtiger war daher der (ebenfalls angeleitete) Entscheidungsprozess darüber, wie die Studierenden ihre Projektarbeiten dokumentieren und präsentieren wollten.
Hier beschränkte ich mich darauf, mögliche Formate vorzustellen und ausprobieren zu lassen. Gleichzeitig formulierte ich für die Studierenden und mich schon zu Beginn das Ziel einer Veröffentlichung als Gesamtschau der Projekte – wie sie diese Seite nun darstellt.4 Die studentischen Beiträge wurden bewusst keiner redaktionellen Überarbeitung unterzogen. Lediglich die anschließende (im Plenum des Seminars vorgenommene) Reflexion der Ergebnisse sollte in begleitenden Statements festgehalten werden. Dies unterstreicht die Eigenständigkeit der erarbeiteten Perspektiven und entspricht dem Prinzip des forschenden Lernens, das dem Seminar zugrunde lag.
Die Vielfalt der entstandenen Arbeiten hat meine Erwartungen übertroffen. Die Studierenden haben nicht nur verschiedenste Rezeptionslinien aufgespürt – von musealen Inszenierungen über populärwissenschaftliche Darstellungen bis hin zu digitalen Vermittlungsformen –, sondern diese auch kritisch durchdrungen und kontextualisiert. Besonders erfreulich war zu beobachten, wie sie dabei eigene methodische Zugänge der Erschließung und Präsentation entwickelten und die Ambivalenzen historischer Vereinnahmungen herausarbeiteten.
Leerstellen waren unvermeidlich. So beschränkt sich die hier gezeigte Auswahl sichtbar auf ›neuere‹ Verwandlungen des Themas. Angedacht war ursprünglich ein viel weiterer Rahmen, etwa von Dürers ambivalentem Gedenken in der »Bauernkriegssäule«5, über Friedrich Engels’ Reflexion des Scheiterns von 1848 im Gewand einer Bauernkriegsgeschichte6 bis zur Monumentalisierung des »Florian Geyer« zur deutsch-nationalen Führerfigur durch Gerhart Hauptmann7. Wichtiger aber als ein breites Spektrum erwies sich aber die grundsätzliche Übung: die methodische, kritische, selbstbestimmte Auswahl dessen, was man für Erzählung und Anregung von Erkenntnisprozessen braucht. Also der eigentlichen Aufgabe von Forschenden und Lehrenden, ob an der Uni oder in der Schule.
Mir, dem Frühneuzeithistoriker, bot das Seminar einmal mehr Gelegenheit, die Aktualität dieser scheinbar fernen Epoche gemeinsam mit den Studierenden herauszuarbeiten. Dem Dozenten war es damit einmal mehr Beweis, dass die enge Verzahnung von Forschung und Lehre nicht verhandelbar ist. Beides verbindet sich zum einen mit meinem Interesse an Geschichtskultur und Geschichtspolitik – in der Frühen Neuzeit selbst, aber auch in ihren gegenwärtigen Wirkungen.8 Zum anderen bereichert der kritische Blick der Studierenden ganz wesentlich meine eigenen Perspektiven. Dass die Ergebnisse nun öffentlich zugänglich sind, verleiht dem universitären Lernen eine zusätzliche Dimension: Die Studierenden werden zu Akteuren im geschichtskulturellen Diskurs, ihre Arbeiten zu eigenständigen Beiträgen in der Public History.
Diese Form der digitalen Dokumentation und Präsentation möchte ich künftig weiter ausbauen. Sie verbindet die Ziele forschungsnaher Lehre mit dem Anspruch, universitäre Arbeit und ihre Ergebnisse in die Öffentlichkeit zu tragen. Sie macht dabei die Leistungen der Studierenden sichtbar, die sonst allzu oft in Seminarordnern verschwinden. In Zeiten, in denen die Deutung von Geschichte zunehmend umkämpft ist, scheint mir dies ein wichtiger Beitrag geschichtswissenschaftlicher Lehre zu sein: nämlich nicht nur über Geschichtspolitik zu sprechen, sondern sich reflektiert darin zu positionieren.9
- Blickle, Peter: Der Bauernkrieg. Die Revolution des Gemeinen Mannes (= Beck’sche Reihe. 2103). München 1998. 6., durchgesehene Aufl. 2024. Deutlich früher schon: Ders.: Die Revolution von 1525. München, Wien 1975. In dieser Formulierung entlehnt aus: Friedrich Engels: Der deutsche Bauernkrieg. In: Karl Marx und Friedrich Engels: Werke, Artikel, Entwürfe. Juli 1849 bis Juni 1851 (= Marx-Engels-Gesamtausgabe. Erste Abteilung. 10). Berlin 1977, S. 367–443, hier S. 443. ↩︎
- Behringer, Wolfgang: Bauern-Franz und Rassen-Günther. Die politische Geschichte des Agrarhistorikers Günther Franz (1902–1992). Winfried Schulze, Otto Gerhard Oexle: Deutsche Historiker im Nationalsozialismus (= Fischer Taschenbuch. 14606). Frankfurt am Main 1999, S. 114–141, hier S. 117. Online unter: https://www.uni-saarland.de/fileadmin/upload/lehrstuhl/behringer/PDF/bauernfranz.pdf [17.07.25]. ↩︎
- Vgl. Kruip, Gudrun: Rezension v. PROTEST! Von der Wut zur Bewegung. Ausstellung Landesmuseum Württemberg Stuttgart, 27.10.2024–04.05.2025. In: H-Soz-Kult, 01.03.2025. Online unter: https://www.hsozkult.de/exhibitionreview/id/reex-151119 [17.07.25]. ↩︎
- Vorbild und Inspiration war das Paderborner Projekt »Rom, 7 Blicke. Literaturstudierende auf römischen Spuren«, geleitet von Lothar van Laak, im Sommer 2017 (online unter: https://roemischeblicke.wordpress.com [17.07.25]) – und bereits verarbeitet in der Ergebnissicherung einer von mir geleiteten Quellenübung im Winter 2024/25 (online unter: https://blogs.uni-paderborn.de/quellenlese [17.07.25]). ↩︎
- Dürer, Albrecht: UNderweysung der messung/ mit dem zirckel vn[d] richtscheyt/ in Linien ebnen vnnd gantzen corporen […]. [Nürnberg] 1525, I(i)v, vgl.: https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb00084858?page=94 [17.07.25]. Die Übersetzung in ein tatsächliches Denkmal im thüringischen Mühlhausen wurde 2025 eingeweiht, siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Bauernkriegss%C3%A4ule_(M%C3%BChlhausen), Version vom 28.05.25 [17.07.25]. ↩︎
- Siehe Anm. 1. ↩︎
- Hauptmann, Gerhart: Sämtliche Werke. Bd. 1: Dramen (= Centenar-Ausgabe). Hg. v. Hans-Egon Hass. Berlin 1966, S. 585–710. ↩︎
- Siehe u. a. das Forschungsprojekt »Geschichtspolitik im Fürstbistum Paderborn nach dem Dreißigjährigen Krieg«. Online unter: https://www.uni-paderborn.de/projekt/1554 [17.07.25]. ↩︎
- Zur Bedeutung für den Geschichtsunterricht siehe nur: Bernhard, Roland; Susanne Grindel, Felix Hinz und Johannes Meyer-Hamme: Was ist ein historischer Mythos? Versuch einer Definition aus kulturwissenschaftlicher und geschichtsdidaktischer Perspektive. In: Roland Bernhard, Susanne Grindel, Felix Hinz und Christoph Kühberger (Hgg.): Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern. Von Marathon bis zum Élysée-Vertrag (= Eckert. Die Schriftenreihe. 142). Göttingen 2017, S. 11–31, besonders S. 17ff. ↩︎
Proudly powered by WordPress
